Ein kurzer Ausflug in den Schilddrüsenstoffwechsel oder warum L-Thyroxin kein Allheilmittel für die Schilddrüse ist
Bei der 24 Jahre alten Patientin haben wir eine latente (verborgene)Schilddrüsenunterfunktion festgestellt. Müdigkeit und Erschöpfung hatten zur Untersuchung geführt. Sie bittet um eine Schilddrüsenmedikation mit l-Thyroxin, da Mutter und Schwester, 2Jahre älter, unter Schilddrüsenproblemen leiden und beide genau dieses Medikament einnehmen. Also, da muss man schon genauer hinschauen, bevor man ruckzuck das erbetene Medikament rezeptiert……
Ein kurzer Ausflug in den Schilddrüsenstoffwechsel: Stellgrösse im Regelkreislauf ist das schilddrüsenstimulierende Hormon TSH, das in der Hirnanhangdrüse gebildet wird. Dieses kommuniziert mit der Schilddrüse und fordert sie auf, die jodhaltigen Schilddrüsenhormone fT3 und fT4 zu bilden. Das bioaktive, wirksame Hormon ist das fT3, das aus fT4 gebildet wird. Die beiden Hormone, die frei und ungebunden im Blut herumschwimmen, geben ein Feed back zur Hirnabhangdrüse. Sind zu viele Schilddrüsenhormone im Blut unterwegs, wird die Produktion von TSH gedrosselt, um die Schilddrüse nicht überzustimulieren, sind die Hormone erniedrigt, steigt der TSH wert, um die Schilddrüse zu pushen und die Bildung von fT3 und fT4 zu fördern. Eine verborgene Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion ist dann diagnostiziert, wenn die frei im Blut schwimmenden Hormone noch normal, die Stellgrösse TSH aber bereits zu hoch oder zu niedrig ist. Bei unsrer Patientin waren also fT3 und fT4 im Normbereich, das TSH aber deutlich zu hoch, die Konstellation einer latenten (verborgenen) Schilddrüsenunterfunktion.
Würden wir dem Wunsch der Patientin entsprechen, würden wir L-Thyroxin verschreiben, was nichts anderes ist als fT4, das dann in fT3 umgewandelt wird. Wäre die passende Dosis gefunden, entwickelten sich Labor und klinische Symptome (Müdigkeit und Erschöpfung) innerhalb weniger Wochen in Richtung Normalbefunde.
Aber erst einmal muss Ursachenforschung betrieben werden. Die Ultraschall-Untersuchung zeigt eine vollkommen normale Schilddrüse, insbesondere keine Zeichen einer Entzündung, akut oder chronisch, es zeigen sich keine Knoten, die Grösse ist normal. Im erweiterten Labor kann eine autoimmunologische Ursache (z.B. Hashimoto) ausgeschlossen werden.
Schauen wir uns doch einmal die Bausteine und Cofaktoren im Schilddrüsenstoffwechsel an. Bestehen hier Mängel, die eine ausgeglichene Stoffwechsellage unmöglich machen?
Die Synthese, also die Herstellung von fT4 erfolgt in den Schilddrüsenzellen. Das mit der Nahrung aufgenommene Jodid wird durch ein Enzym und Wasserstoffperoxid zu Jod umgewandelt, 4 Jodatome werden an die Aminosäure l-Tyrosin gebunden und es entsteht fT4. Also , wir brauchen zunächst ausreichend Jod und Aminosäuren, in dem Fall Tyrosin. Deutschland ist Jodmangelgebiert und die empfohlene tägliche Aufnahme von 200 Microgramm Jod wird selten erreicht, dabei ist der eigentliche Jodverbrauch viel höher, da nicht nur die Schilddrüse Jod braucht sondern andere Organe auch, z.B. die Brust und die Prostata. Der Jodspiegel im Urin gemessen zeigt bei der Patientin einen unterirdischen Wert, ein Aminogramm mit Bestimmung des L-Thyrosins dasselbe! Ein weiterer sehr wichtiger Cofaktor ist Selen, da dieses Spurenelement bei der Umwandlung von fT4 in fT3 gebraucht wird, weitere wichtige Mitspieler sind Eisen, Vitamin A und D.
Kurz und gut, bis auf Vitamin A zeigten sich alle wichtigen Faktoren im Mangelbereich, klar, dass ohne Ausgangssubstanzen kein funktionierender Schilddrüsenregelkreislauf aufrecht erhalten werden kann.
Warum haben wir kein l-Thyroxin verschrieben? Weil dem Körper grundsätzliche Nährstoffe gefehlt haben, um eigenständig einen gut funktionierenden hormonellen Kreislauf herzustellen. Und warum künstlich mit einer Hormontherpapie eingreifen, wenn doch der Körper in der Lage ist, die hormonelle Balance selbst wiederherzustellen, v.a. in einem so jungen Alter. Resultieren würde eine Jahre bis Jahrzehnte andauernde Therapie mit Schilddrüsenhormonen, die auch nicht ohne Nebenwirkungen ist und einer gesunden, also z.B nicht entzündlich veränderten Schilddrüse die Möglichkeit nimmt, die ihr angedachte Arbeit zu übernehmen. Ausserdem werden die benötigten fehlenden Vitamine und Spurenelemente für viele andere lebenswichtige biochemische Reaktionen im Körper gebraucht und müssen so oder so ergänzt werden, soll der Körper ordentlich funktionieren.
Die Patientin war bereit, sich auf diesen Therapievorschlag einzulassen und nahm über 3 Monate täglich die empfohlenen Mikronährstoffe. Allerdings wurde sie, berechnend aus ihrem aktuellen, nicht ausreichenden Jodwert, mit mehr als 1000 Mikrogramm Jod pro Tag versorgt, also mit mehr als der fünffachen von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Menge. Auch alle anderen Supplements wurden aufgrund der gemessenen Werte berechnet.
Und siehe da, erfreulicherweise zeigte sich nach 3 Monaten eine deutlich ausgeglichenere Situation mit sinkendem TSH, die Werte wurden nochmals alle kontrolliert und die Therapie angepasst. Bei einer weiteren Kontrolle nach 6 Monaten zeigte sich ein komplett unauffälliger Schilddrüsenstoffwechsel- ganz ohne L-Thyroxin! Und von Müdigkeit und Erschöpfung keine Spur mehr. Der einfachste Weg ist nicht immer der beste…….
© Dr. Nicole Lion-Mock