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Gemeinsam gutes Brot backen- heilsam für Körper, Seele und Geist

Zusammen arbeiten, kreativ sein und teilen stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, setzt Glückshormone und Endorphine frei...

Wir haben unsere Herbsturlaubswoche im Vinschgau verbracht. Am ersten Ferientag entdeckte unser Sohn in einem Touristeninformatonsblatt einen 3 stündigen Brotbackkurs auf einem Bergbauernhof . Für mich als passionierte und begeisterte Bäckerin ein Ferienhighligt - und so unternahmen mein Mann und ich am nächsten Tag eine abenteuerliche Autoreise zum Bergbauernhof im Martelltal. Eine freundliche und offenherzige Bäuerin begrüsste 10 Feriengäste auf ihrem Hof vor dem schon angeheizten Holzbackofen. Der jüngste Teilnehmener war 10 Jahre alt und musste für die Zeit des Backkurses vom Handy Abschied nehmen, maulend und mit enttäuschtem Gesicht. Der 14 jährige war eher im Rahmen eines Ferienfamilienevents zum Brotbacken verpflichtet worden und wäre wohl am liebsten unsichtbar geblieben. Die älteste Teilnehmerin war Ende 80 und blind und wurde von ihrer Tochter begleitet. Der Rest tummelte sich altersmässig irgendwo dazwischen. Die Bäuerin hatte bereits einige Teige angesetzt, einige mussten angesetzt werden und jeder wurde eingebunden. Der 10jährige war nach wenigen Minuten Anlaufzeit nicht mehr zu bremsen. Im Laufe der 3 h ging er beim Brötchenschleifen so in Serienproduktion, dass für die Erwachsenen kaum mehr Arbeit übrig blieb. Keine Arbeit war zuviel, mit altersentsprechend kindlicher Begeisterung wurde geformt, geknetet,verziert .

Professor Gerald Hüther, Neurobiologe, definiert 2 wichtigste Bedürfnisse von Kindern: Das Bedürfnis nach Verbundenheit und Nähe mit anderen und das Bedürfnis nach eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Die Erfüllung dieser Bedürfnisse sind-neben vielen anderen- Voraussetzungen dafür, dass sich Millionen von neuronalen Verschaltungen im Gehirn optimal miteinander verknüpfen, so dass ein Kind sich später im Leben mit all seinen Anforderungen in unterschiedlichsten Situationen gut zurechtfindet. Durch die oft soghafte Anziehungskraft von digitalen Medien werden-vom Gehirn automatisch gesteuert- die oben gezeigten Bedürfnisse unterdrückt, da die Präsenz sich vollständig dem Bildschirm zuwenden muss, d.h. andere Bedürfnisse treten nicht mehr ins Bewusstsein, können nicht mehr ausgelebt und wichtige neuronale Verschaltungen nicht mehr ausgebildet werden.

Währenddessen verweigerte der 14 jährige erst einmal die Mitarbeit, auch gezielten Aufforderungen der Bäuerin, z.B die Hefe in den Teig zu krümeln, wurde nicht nachgekommen, weder beim ersten noch beim zweitem Mal. Irgendwann stellte er sich ostentativ hinter seine Mutter und ward nicht mehr gesehen. Beim zusammenrühren der „Struzen“, einer beinah vergessenen Spezialität im Vinschgau, wurde aber eine kräftige Hand gebraucht und damit gelang es der Bäuerin, den jungen Mann ins Geschehen einzubinden. Am Ende des Kurses sassen der 10 und der 14 jährige in höchster Konzentration und andächtig vor einem Blech mit Hefegebäck, dass im Vinschgau zu Allerheiligen gebacken wird, und pinselten den „Fochatz“ mit verrührtem Ei ein, um ihn dann mit Rosinen und Zuckerperlen zu verzieren, einträchtig zusammen arbeitend. Die eher unfreiwillige Anwesenheit in einer unbekannten Gruppe, das nicht-wissen-was-auf-mich zukommt, alles war vergessen und der junge Mann war mit seiner Aufmerksamkeit absolut in der Gegenwart angekommen. Den Erwachsenen erging es ähnlich.

Die praktische, handwerkliche Beschäftigung erfordert Aufmerksamkeit und Präsenz und eine Verankerung im Hier und Jetzt. Für die Psychologieprofessorin Donna Pincus von der Boston University ist Backen ein Ausdruck von handwerklicher Kreativität, der im Gehirn den dorsolateralen präfontalen Kortex entlastet. Dieser Teil des Gehirns ist für die vorausschauende Planung(Antizipation)und Verhaltenskontrolle zuständig und an der Planung und Regulation komplexer motorischer sowie intellektueller Handlungen beteiligt. Sind wir nur 45 Minuten kreativ (und backen Brot: Wiegen Zutaten ab, arbeiten uns durch ein Rezept, verbinden unsere Hände mit Mehl, Wasser und Salz, prüfen die Reife des Teiges, riechen und schmecken, formen verschiedene Sorten Brot, überwachen das Abbacken im Ofen) , sinkt nachweislich der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Körper und wir sind entspannter und bekommen den Kopf frei.

Als die alte und blinde Dame an der Reihe war mit Teigrühren, stellte ihr die Bäuerin kurzerhand eine überdimensionierte Schüssel auf den Schoss. Zunächst passierte nichts, dann folgten ein paar zaghafte und ungelenke Runden mit dem Rührlöffel in der Schüssel und dann konnte man zusehen, wie sich längst vergessene neuronale Verschaltungen im Gehirn rasant reaktivierten, die in formvollendeten Rührbewegungen mündeten, die erahnen liessen, wie oft diese Tätigkeit in einem langen Leben ausgeführt worden war.

Eine Studie des Gesundheitsministeriums zeigt, dass ein ergotherapeutisches Funktions- und Fertigkeitstraining bereits erlernter Strukturen bei Senioren zur Prävention (und Therapie) einer Demenz erfolgreich eingesetzt wird .Naomi Veil, eine deutsch-amerikanische Gerontologin, hat die Methode der Validation im Umgang mit alten und/oder dementen Menschen entwickelt. Ein Grundsatz hiervon ist es, auf das Langzeitgedächtnis und frühere Erinnerungen und Fertigkeiten zurückzugreifen, wenn das Kurzzeitgedächtnis schwächer wird und dadurch das Leben wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Zeitführung war straff, die Stunden entsprechend dem Backvorhaben durchgetaktet und bald wurde das erste Gebäck in den Ofen geschoben. Beim Verkosten und Teilen der Kostproben entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl: Der köstliche Geschmack, das gemeinsame Erleben, die Zufriedenheit und die Sinnhaftigkeit, ein nährendes, gesundes Brot mit eigenen Händen geschaffen zu haben machte alle glücklich und zufrieden einschliesslich der netten Bäuerin, die uns mit so viel Herzblut an Ihrer Passion teilnehmen liess. Um das zu erleben, brauchten wir keine Studie, aber eine Veröffentlichung der englischen Mental Health Foundation bestätigt uns: Zusammen arbeiten, kreativ sein und teilen stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, setzt Glückshormone und Endorphine frei und gibt uns das Gefühl, etwas Gutes zu tun und eine Bedeutung im Leben zu haben.

 

© Dr. Nicole Lion-Mock