Skip to main content

Kryptopyrrolurie oder eine unaussprechliche Stoffwechselstörung mit weitreichendem Einfluss auf unser Leben

 

 

Die Patientin ist Anfang 30, hat einen verantwortungsvollen Job in einer angesehenen Rechtsanwaltskanzlei und hat gerade ihre Arbeit von 100% auf 70% reduziert. Der Arbeitsalltag einer 100% Stelle war zu anstrengend und belastete sämtliche Bereiche ihres Lebens. Ihr Weg führt in unsere Gesundheitssprechstunde, weil sie immer schon „anders leben musste als die anderen“ und sie hierfür eine Erklärung sucht. Im Vordergrund steht eine reduzierte Stressresilienz. Ihr Jurastudium wurde als sehr anstrengend empfunden, während die KommilitonInnen noch Party feiern konnten, suchte die Patientin früh das Bett auf, da sie wusste, ohne ausreichenden Schlaf auch mit Mitte 20 am nächsten Tag nicht leistungsfähig zu sein. Von Familie und Umgebung wurde sie immer schon als ein „Sensibelchen“ bezeichnet. Gesellschaften empfindet sie oft als anstrengend und geht lieber alleine in der Natur spazieren, wobei sie sich exzellent erholen kann. Anstrengende sportliche Einheiten im Gym tun ihr nicht gut und sie fühlt sich noch 2 Tage später erschlagen und nicht erholt. Bereits vor Jahren hat sie herausgefunden, dass glutenhaltige Nahrungsmittel und Milchprodukte von Kuh, Schaf oder Ziege von ihr nicht vertragen werden und diese konsequent vom Speisezettel gestrichen. Insgesamt finde ich es bewundernswert, wie konsequent die junge Frau ihren Lebensstil ihren aktuellen Möglichkeiten angepasst hat und sich damit sehr wohl fühlt. Summa summarum eine gute Work-life Balance, gesunde Ernährung, gesundes Schlafverhalten und ausreichen moderate Bewegungen. So zu leben wäre für uns alle gut und würde unsere Healthspan deutlich verlängern. Trotzdem verstehe ich das Anliegen der jungen Frau, zu verstehen, warum vieles anders ist als bei andern und der Anfrage, ob nicht doch noch ein bisschen mehr drin wäre im Leben ausser einer sehr disziplinierten, stringent durchdachten Lebensführung, die für Spontanität wenig Raum lässt und auch angesichts eines Kinderwunsches, dessen Erfüllung ein sehr reguliertes Leben doch sehr auf den Kopf stellen und ausserordentliche Belastungen mit sich bringen würde.

Im schulmedizinischen grossen Labor zeigen sich keine Auffälligkeiten. In der Mikronährstoffanalye zeigen sich gravierende Mängel für Zink, Mangan, Vitamin B6 und Chrom und ein nachfolgend ausgeführter Test auf Pyrrole im Urin ist hoch positiv, was die Verdachtsdiagnose einer Kryptopyrrolurie bestätigt. 

Pyrrole sind Abbauprodukte des Häms. Häme sind wichtige Verbindungen im menschlichen Körper, die an unterschiedlichen Stellen wichtige Funktionen haben. Durch  Enzymdefekte kann es zu Bildungsstörungen der Häme kommen, so dass diese falsch zusammengesetzt werden und ein Überschuss an Pyrrolen im Blut entsteht. Normalerweise werden die Häme über Leber und Galle abgebaut und über den Stuhl ausgeschieden. Werden falsch zusammengesetzte Häme hergestellt, könne diese nicht über Galle und Leber verstoffwechselt und ausgeschieden werden sondern über die Nieren. Hierfür werden bedeutende Mengen an Mangan, Vit B6 und Zink gebraucht, weshalb die Mängel an diesen Vitamin und Spurenelementen zusammen mit der Anamnese oft wegweisend für die Diagnose  sind. Die ausgeschiedenen Substanzen werden an anderen Stellen im Körper dringend benötigt und fehlen für wichtige Stoffwechselschritte, wenn sie nicht -notwendigerweise oft in hohen Konzentrationen-ergänzt werden.  Häme haben Aufgaben an der inneren Mitochondrienmembran. Liegen hier Störungen vor, kommt es zur Schwächung der Energiebereitstellung in den Mitochondrien, den Kraftwerken unserer Zellen, was von den Patienten oft als rasche Ermüdbarkeit und geringere körperliche Belastbarkeit empfunden wird. Zinkmangel ist oft mit psychiatrischen Erkrankungen assoziiert, unter anderem ist es an der Freisetzung von Neurotransmittern, also der Stoffe, die über unser psychisches Wohlbefinden entscheiden, beteiligt. Vitamin B6 wirkt an über 100 anabolen Prozessen im Körper mit. Wichtig ist es bei der Umwandlung der Aminosäure Tryptophan in das Glückshormon Serotonin, das uns glücklich, entspannt und selbstbewusst sein lässt. Serotonin ist wiederum die Vorstufe von Melatonin, das  uns gut schlafen lässt. Ausserdem aktiviert Vit B6 die DAO, Diaminoxidase, ein Enzym, das Histamin abbaut. Kein Wunder, dass viele Menschen mit KPU auf Pizza mit Tomatensosse, Salami und Gorgonzola zusammen mit einem Glas Rotwein (alles stark histaminhaltige Lebensmittel)  Magen-Darmprobleme bekommen, die sich langfristig oft  verschlimmern und zum Dauerbrenner Thema „Bauch“ führen. Oft entwickelt sich im Laufe der Zeit eine Darmdysbiose, also eine Fehlbesiedlung des Darmes. Mangan hat viele verschieden Aufgaben im Körper, es ist wichtig für Gelenke und Knochen,  das Immunsystem (ein Mangel verhindert die ausreichende Bildung von Antikörpern), die Produktion von Sexualhormonen und die Neurotransmitterfunktion.

Was ist zu tun bei der Erkrankung? Wichtig ist es, die im Mangel vorliegenden Mikronährstoffe zunächst einmal hochdosiert zu substituieren. Regelmässige Messungen zeigen die Erfolge und auch einen langfristigen erhöhten Bedarf, der ergänzt wird. Allein hierunter bessern sich schon viele Beschwerden, oft zeigt sich als erstes eine Verbesserung der Stressresilienz;  Arbeit, Kinder, soziales Umfeld werden weniger zu wirklich belastenden Stressoren. Nach Untersuchungen des Stuhls werden auch hier die entstandenen Imbalancen ausgeglichen durch Prä- und Probiotika und bestimmte Aminosäuren, was rasch zu einer Besserung des Gesamtbefindens führt. Bei obiger Patientin hat sich eine Fruktoseintoleranz ausgebildet, die für sie problematisch ist, weil hier Tryptophan, die Vorstufe von unserem Glückshormon Serotonin, an Fruktose gebunden wird und dem Körper für den eigentlichen Zweck nicht mehr zur Verfügung steht. Dabei ist ja gleichzeitig die Bildung von Tryptophan zu Serotonin wegen des Vitamin B6-Mangels reduziert, also liegt zu wenig Baumaterial für Serotonin vor und gleichzeitig ist die Bildung aus dem Baumaterial zu Serotonin reduziert- ein doppelt negativer Effekt, der es eher schwierig macht, Glücksgefühle aufkommen zu lassen…. Auch andere Neurotransmitter werden bestimmt und die Funktion der Nebenniere, um auch hier bei Mangelzuständen zu ergänzen und dem System wieder in die Balance zu helfen.

Ein wichtiger Aspekt ist die oftmals eingeschränkte Entgiftungsfunktion der Leber, da die Häme auch hier eine entscheidende Rolle spielen. Die Patienten sind oftmals nach einer Injektion durch den Zahnarzt für Stunden oder sogar Tage ausgeknockt. Hier können die einzelen Phasen der Entgiftung (heute Biotransformation) bestimmt werden, um mit pflanzlichen Stoffen und Substanzen, die für die Entgiftung gebraucht werden (z.B. Glutathion oder Alpha-Liponsäure zusammen mit andern Mikronährstoffen) zu unterstützen

Und wo kommt die Erkrankung nun her? Tatsächlich gibt es eine erbliche/genetische Belastung (es gibt regelrechte KPU-Familien),aber offensichtlich kann die Erkrankung auch erworben werden und nur vorübergehend in Erscheinung treten, z. B. durch Traumata jedweder Art und ausgeprägte Stressoren bzw. hohem Stressaufkommen in bestimmten Lebensphasen.

Was ist zu tun? Neben der Supplementierung der im Mangel befindlichen- da zu stark ausgeschiedenen- Substanzen ist tatsächlich die Lebensführung der Schlüssel zum Erfog. Kyra Kauffmann, die sich um die Therapie der KPU sehr verdient gemacht hat, beschreibt das 4-E-Programm: Ergänzung fehlender Mikronährstoffe, Ernährungsumstellung (oft profitieren die Patienten von einer kohlenhydratreduzierten und fett- und eiweissoptimierten Ernährung, Ausschaltung individueller Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Histaminreduktion), Entstressung und Entgiftung, falls notwendig.

Wie erging es der Patientin? Erst einmal war eine grosse Erleichterung zu verspüren, weil das Anders-sein nun aufgrund von einer biochemischen Realität plötzlich verstanden werden konnte.  Nach Substituion der Mikronährstoffe verbesserte sich die Stressresilienz deutlich, die Ernährung wurde noch etwas optimiert zugunsten guter Fette und Eiweisse und an der Entgiftung musste nicht gearbeitet werden, da diese aktuell keine Funktionseinschränkung aufwies. Der Kinderwunsch bekommt nun eine neue Dimension und eine deutliche Verstärkung, da sich die Patientin jetzt Schwangerschaft und Muttersein viel besser vorstellen kann.

Fazit: Die Dunkelziffer der KPU wird in Deutschland auf ca 10% geschätzt, v.a. Frauen sind betroffen, also gewiss keine seltene Erkrankung, auch wenn sie als  solche in der traditionellen Schulmedizin noch nicht angekommen ist. Die Symptome sind vielfältig und es bedarf manchmal detektivischer Arbeit, um die Diagnose zu stellen. Es geht gewiss nicht darum, sich ein Leben um die KPU herum aufzubauen sondern die Patienten durch eine gezielte Diagnostik  und eine erfolgreiche Therapie auf allen Ebenen darin zu unterstützen, ein an ihre Bedürfnisse angepasstes normales und erfülltes Leben führen zu können.   

© Dr. Nicole Lion-Mock