Skip to main content

Nahrungsmittelunverträglichkeiten, ATI-Sensitivität, Zöliakie oder Nahrungsmittelallergien

Der Versuch, eine komplexe Materie so einfach wie möglich zu erklären 
oder
Krank durch Bauchschmerzen

In der naturheilkundlichen Sprechstunde ist es mein täglich Brot, mich mit allen Facetten von Nahrungsmittelunverträglichkeiten auseinanderzusetzen. Oft ist der Leidensweg lang, der Leidensdruck hoch und die bislang erfolgte Abklärung mangelhaft. Im Mittelpunkt stehen häufig Getreideprodukte und aufgrund von einer unübersehbaren Anzahl unterschiedlichster Veröffentlichungen in den Medien und dem Wissen von Doktor Google herrscht sowohl bei Patienten aber auch Menschen in Heilberufen oftmals eine Orientierungs- und Ratlosigkeit. Die Patienten berichten, oft unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Erschöpfung ebenso wie nachlassende Leistungsfähigkeit (hier erkennen sich viele wieder!), Bauchschmerzen, wechselnde Stuhlgewohnheiten und Übelkeit „irgendwie mit Weizen“ oder „irgendwie mit Gluten“ in Zusammenhang zu bringen.

Nach dem aktuellen aktuellen Stand der Wissenschaft kann man heute Getreideunverträglichkeiten in Zöliakie, Getreideallergien,Nahrungsmittelunverträglichkeiten auf Gluten und die ATI-Sensitivität (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) unterteilen, wobei unter der letzteren auch die bisher diskutierte Nicht-Zöliakie-Gluten- und Weizensensitivität subsummiert wird. Alle Erkrankungen können allesamt dieselben Symptome hervorrufen.

 

Wo liegen die Unterschiede?

Zöliakie

Die Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Darmes, bei der der Dünndarm auf Gluten (Klebereiweiss und wichtigstes Speicherprotein in vielen Getreiden)mit einer dauerhaften und ausgeprägten Entzündung und Antikörperbildung reagiert, die dazu führt, dass sich die Zotten der Dünndarmschleimhaut zurückbilden und die Oberfläche des Darmes sich verringert, so dass nicht mehr genügend Nährstoffe aufgenommen werden können. Diese Weizenproteine kommen aber nur in glutenhaltigem Getreide vor. Es besteht eine lebenslange autoimmune Reaktion des Darmes auf Gluten. Erbliche Faktoren sind die Grundlagen der Erkrankung . In Deutschland liegt die Erkrankungshäufigkeit bei 1:100, allerdings ist die Dunkelziffer sehr hoch und dürfte zwischen 80 und 90% liegen. Bei vielen Patienten mit Zöliakie wird die Diagnose spät gestellt, die klassischen Symptome wie im Kindesalter (Gedeihstörungen, Gewichtsabnahme, Blähbauch , Durchfälle) weichen unspezifischen Symptomen wie Eisenmangelanämie, Müdigkeit und Erschöpfungszuständen, verspätetem Pubertätseintritt, erhöhten Leberwerte unklarer Ursache, Bauchschmerzen, Zyklusstörungen der Frau, Migräne, Depressionen und gravierenden Mikronährstoffmängeln. Die Diagnose wird gestellt durch eine Antikörperbestimmung im Blut und durch eine Biopsie des Dünndarms mit der entsprechenden histologischen Aufarbeitung. Mit der Zöliakie sind andere Autoimmunerkrankungen assoziiert wie z.B.rheumatische oder Schilddrüsenerkrankungen. Als Therapie ist eine lebenslange ausnahmslos glutenfreie Ernährung alternativlos, damit die Darmschleimhaut wieder heilen und ihre normale Funktion wieder aufnehmen kann. Wir betreuen Patienten in der Praxis, die bereits unter versehentlicher Einnahme einer glutenhaltigen Schüsslersalztablette symptomatisch wurden oder nachdem ein Familienmitglied zufällig eine Scheibe Brot im Toaster des Zöliakieerkrankten getoastet hat und dieser den Toaster danach wieder benutzt hat. Unter strikt glutenfreier Ernährung, die heute bei dem grossen Angebot glutenfreier Nahrungsmittel deutlich einfacher zu gestalten ist als früher, steht die Lebensqualität in nichts einem Gesunden nach. Mit Kreativität und Einfallsreichtum berichten einige unserer Patienten über eine viel grössere Auswahl von gesunden Lebensmitteln und der Verarbeitung derselben in der eigenen Küche als vor Diagnosestellung.

Klassische und atypische Nahrungsmittelallergien

Bei Allergenen handelt es sich normalerweise um harmlose Proteine, also Eiweißstoffe, die aufgrund einer Fehlregulation vom Immunsystem als bedrohlich wahrgenommen werden. Im Körper werden durch den Kontakt mit den Allergenen Antikörper vom Typ IgE gebildet. Die Antikörper gelangen über Blut und Lymphe ins Gewebe und binden sich dort an die sogenannten Mastzellen, die spezielle Bindungsstellen für Antikörper haben und an bestimmte weiße Blutkörperchen. Bei nochmaligem Kontakt mit dem Allergen binden sich diese an die Antikörper auf den Mastzellen. Dadurch kommt es zu einer Ausschüttung von allergieauslösenden Botenstoffen wie Histamin, die zu allergietypischen Symptomen führen. Die Reaktionen sind individuell verschieden und von der Ausprägung her unterschiedlich stark. Typische Symptome einer Allergie sind Juckreiz, Hautausschläge, Niesreiz, Schnupfen, tränende Augen, Übelkeit, Durchfall, die sofort nach dem Genuss eines Lebensmittels auftreten. Tests auf Nahrungsmittelallergien messen im Blut die IgE-Antikörper gegen bestimmte Allergene, die bei Allergikern häufig, aber nicht immer erhöht sind.Auch Hauttests sind möglich (Pricktest). Das Problem ist, dass die Symptome sich bei vielen Nahrungsmittelallergien mit einer größeren zeitlichen Verzögerung zeigen und sich v.a. auf den Magen-Darm-Trakt beschränken (atypische Allergien). Eine direkte Zuordnung zu einem konsumierten Lebensmittel ist nicht mehr möglich. Aus diesem Grund werden entsprechende Symptome lange nicht als allergische Reaktion erkannt und es ist schwierig, sie eindeutig zu identifizieren. Die wichtigsten allergieauslösenden Lebensmittel sind Kuhmilch, Hühnerei, Fisch, Soja ,Weizen und Nüsse. Kann das Nahrungsmitteln mit den entsprechenden Allergenen identifiziert werden, führt ein Weglassen desselben zu Beschwerdefreiheit. Oft stellen die Patienten schon selbst klinisch ohne Untersuchung die Diagnose und wissen, welches Nahrungsmittel sie wegzulassen haben, da über eine Eliminationsdiät(z.B das Weglassen von Nüssen über einen bestimmten Zeitraum), genaue Beobachtung und über ein Ernährungstagebuch letztendlich doch Rückschlüsse auf das Allergen gezogen werden können.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Nach Ausschluss einer Zöliakie und/oder einer Allergie muss die Reise bei weiter bestehenden Symptomen fortgesetzt werden. In komplementätmedizinisch arbeitenden Praxen werden durch Bestimmung von IgG3 Antikörpern in einem Speziallabor eventuell bestehende Unverträglichkeiten gegen Nahrungsmittel bestimmt, 100 oder mehr Nahrungsmittel werden hier ausgetestet. Solche Unverträglichkeiten können z.B. durch ein leaky gut Syndrom (Syndrom des löchrigen Darmes) entstehen, wenn dieser durch Umweltbelastungen, Antibiotika, Stress, Hitze, Schwermetalle, Viren und Bakterien und andere Faktoren geschädigt wurde. Nahrungspartikel, die noch nicht zur Resorption bereit waren, schlüpfen durch kleine Öffnungen zwischen den Zellverbänden der Darmschleimhaut hindurch und können immunologische Reaktionen auslösen, die passager zu Unverträglichkeiten bestimmter Nahrungsmittel führen. Das Gute hieran: Wenn Nahrungsmittel positiv getestet wurden, muss nur vorübergehend über einen Zeitraum von z.B. 3 oder 6 Monaten darauf verzichtet werden, bevor sie wieder vorsichtig und schrittweise in den Speiseplan aufgenommen werden. Meist erfolgt bis dahin auch eine Darmsanierung, die häufig mit einer höheren Toleranz der für den Patienten problematischen Nahrungsmittel einhergeht.

Amylase-Trypsin-Inhibitoren-Sensitivität

Jetzt nähern wir uns einem gerade erst erforschtem Krankheitsbild. Es gibt Patienten, die berichten, Dinkel zu vertragen, Weizen aber nicht. Nach dem Genuss von Weizen treten entweder innerhalb von wenigen Stunden oder auch nach 1 bis 2 Tagen Beschwerden im Magen-Darmtrakt auf, die sich wieder zurückbilden und reproduzierbar nach erneutem Weizengenuss auftreten. Jahrelang war man der Ansicht, diese Reaktionen müssten mit Gluten zusammenhängen, wenn auch nicht im Rahmen einer Zöliakie. Die Forschungsgruppe um Professor Schuppan, der an den Universitäten Mainz und Harvard forscht, konnte nachweisen, dass es eine andere Familie untereinander verwandter Weizenproteine (Amylase-Trysin-Inhibitoren) gibt, die nur in glutenhaltigem Getreide vorkommt und die es tatsächlich schafft, über einen komplizierten Mechanismus (Toll like Rezeptor 4-Aktivierung) unser angeborenes Immunsystem im Darm zu stimulieren. So kommt es bei jedermann zu einer leichten entzündlichen Reaktionen im Darm, dem einen schadet sie und führt zu Symptomen, dem stabil Gesunden macht sie nichts aus. Die entzündlichen Veränderungen sind so gering, dass sie weder während einer Darmspiegelung noch histologisch nachgewiesen werden können, allerdings gibt es Spezialuntersuchungen, die nicht routinemäßig durchgeführt werden können, die tatsächlich eine erhöhte Anzahl von Entzündungszellen in der Darmwand nachweisen. Da alle glutenfreien Lebensmittel in der Regel nahezu ATI frei sind, sind Patienten, die auf glutenhaltige Getreideprodukte verzichten, oft beschwerdefrei. Tatsächlich ist aber der schädigende Effekt der ATIs dosisabhängig, so dass geringe Dosen an Weizen durchaus toleriert werden. Warum wird dann von manchen Patienten der Dinkel vertragen, der keinesfalls weniger Gluten als Weizen enthält? Tatsächlich enthält der Dinkel zwar auch ATIs, aber andere Familienmitglieder der ATI-Familie als der Weizen, die offensichtlich von einigen aber längst nicht von jedem besser vertragen werden. Dem Keyserlingk Institut für Saatgutforschung ist es gelungen, die Weizensorte „Goldritter“ zu züchten, die nur ganz reduziert ATIs enthält.

Resumee

Wichtig ist, das eine unklare abdominelle Beschwerdesymptomatik, also Beschwerden im Magen- Darm-Bereich, gründlich und seriös schulmedizinisch abgeklärt werden muss. Laboruntersuchungen, Ultraschall und eventuell eine Magen- oder Darmspiegelung sind hier die diagnostischen Mittel der Wahl. Eine Zöliakie, die eine ernstzunehmende Erkrankung darstellt, muss ausgeschlossen werden. Ebenso kann eine Nahrungsmittelallergie mit einem begrenzten Aufwand nachgewiesen werden. Eine ATI-Sensitivität bleibt vom heutigen Standpunkt der Wissenschaft aus eine Ausschlussdiagnostik, da uns routinemäßige Parameter, die zu einer eindeutigen Diagnosestellung führen würden, noch fehlen. Das heißt, hier wird demPatienten zunächst empfohlen, auf Gluten zu verzichten um zu schauen, ob die Symptome besser werden. Ein Test auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten kann last but not least durchgeführt werden, wenn nach Ausschluss obiger Diagnosen noch Fragen offen bleiben. Wir gehen in unserer Praxis Schritt für Schritt vor. Was allemal entlastend ist und schon oft zu Beschwerdebesserung führt, ist , wenn dem Darm eine Woche Erholung geschenkt wird in dem Sinne, das eine begrenzte Nahrungszufuhr ausgewählter Nahrungsmittel, die in der Regel gut verträglich sind, in einem bestimmten Zeitfenster (z.B. Intervallfasten) zugeführt werden und der Lebensstil verändert wird. Aber dazu mehr in einem anderen Blogbeitrag……….

 

© Dr. Nicole Lion-Mock