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Über die Nebenwirkungen der Pille oder warum eine Pille am Tag nicht reicht

 

Die Patientin in meiner Sprechstunde ist 25 Jahre alt und besucht mich, weil sie einen ausgeprägten Haarausfall festgestellt hat. Zunächst hat ihre Friseuse sie darauf hingewiesen, dass ihr Haar nicht mehr so voll sei. In der Folgezeit lagen morgens vermehrt Haare auf dem Kopfkissen, beim Haarewaschen und beim Kämmen fielen deutlich mehr Haare aus als gewöhnlich. 70-100 Haare am Tag zu verlieren, ist normal, allein beim einmaligem Kämmen zählte die Patientin aber schon mehr als 120 Haare. Eine Terminanfrage beim Hautarzt erbrachte einen Termin in 6 Monaten, beim Endokrinologen noch später und so führte ihr Weg in die Hausarztpraxis. Der Befund ist ausgeprägt, die Kopfhaut schimmert durch das lange Haar, der Haarausfall ist diffus, es gibt also keine vereinzelten kahlen Stellen aber das Haar sieht schon von weitem schütter aus. Die Anamnese, also die Erhebung der Krankengeschichte, gibt nicht viel her. Allmählicher Beginn, keine Veränderung der Lebensgewohnheiten, kein Nikotin, kein Alkohol, kein besonderer Stress, keine ähnlichen Fälle in der Familie, keine Vorerkrankungen, insbesondere keine Schilddrüsenerkrankung. Die Ernährung ist katastrophal, aber ähnlich wie bei vielen jungen Menschen, die hierunter keinen Haarausfall bekommen. Die Medikamentenanamnese lässt aufhorchen. Seit dem 14. Lebensjahr wird die Pille eingenommen, durchgehend bei guter Verträglichkeit. Eine Blutuntersuchung bezüglich Vitamine und Spurenelementen wurde noch nie durchgeführt. 

Die Pille ist ein Segen ist, unumstritten. Dass sie sich negativ auf den Mikronährstoffspiegel im Körper auswirken und Mangelerscheinungen bewirken kann, ist weitgehend unbekannt oder bleibt unbeachtet. Hierzu gehören B-Vitamine (v.a. Folsäure, Vitamin B2, B6 und B12) , Magnesium, Zink und Vitamin C. 

Eine Metaanalyse (grosse Auswertung von 27 Studien mit über 4000 Frauen)  zeigte einen deutlichen niedrigeren Folsäurespiegel bei Frauen, die die Pille einnehmen, verursacht durch schlechtere Aufnahme aus dem Darm und erhöhter Ausscheidung über die Niere. Das ist insofern tragisch, da viel junge Frauen irgendwann mit der Pilleneinnahme aufhören, um schwanger zu werden und dann einen sehr schlechten Folsäurespiegel aufweisen, der extrem wichtig ist für die Entwicklung eines gesunden Nervensystems des Kindes. Bei einem ausgeprägten Mangel kann es zu Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Neuralrohrdefekten (offener Rücken) und Gehirnschäden kommen.

Der Bedarf an Vitamin B6 wird durch die Pille vermutlich erhöht. Diese Vitamin wird u.a. zur Herstellung von Serotonin, unserem körpereigenen Glückshormon gebraucht, was zu Reizbarkeit, depressiver Verstimmung und auch zu Schlafstörungen führen kann, da aus Serotonin im nächsten Schritt Melatonin gebildet wird, unser Schlafhormon.

Bereits 3 Monate nach Beginn der Pilleneinnahme zeigt sich ein erniedrigter Vitamin B 12 Spiegel. In Folge steigt Homocystein an, ein giftiges Stoffwechselprodukt, das als Risikofaktor für Gefässerkrankungen gilt. Möglicherweise ist hierdurch das Risiko für Thrombosen bei Einnahme der Pille mitbedingt. Zum Abbau von Homocystein wird zusätzlich noch Folsäure und Vitamin B6 gebraucht, also alles Vitamine, die unter Pilleneinnahme eh schon in reduzierter Konzentration vorliegen.

Magnesium spielt bei über 300 biochemischen Reaktionen im Körper eine wichtige Rolle, unter Pilleneinnahme wird es vermehrt im Gewebe eingelagert, steht dem Körper dadurch nicht mehr zur Verfügung und wird zudem noch stärker über die Niere ausgeschieden. Magnesium ist das Entspannungsmineral überhaupt und davon kann man heute fast nicht genug haben….

Vitamin C ist ein wichtiger Radikalfänger und bei Frauen, die eine östrogenhaltige Pille einnehmen, wurde ein erniedrigter Vitamin C-gehalt in den weissen Blutkörperchen festgestellt. Diese spielen eine immense Rolle in unserem Immunsystem, das durch Vitamin C regelrecht geboostert wird. Genauso wichtig für das Immunsystem ist Zink, das z.B. in der Lage ist,  in der Mundschleimhaut die Rezeptoren zu blockieren, an denen Viren für Erkältungskrankheiten andocken können und damit die Infektanfälligkeit senken kann.

Und wie passt das alles zusammen mit dem Haarausfall der Patientin?

Haare brauchen zum gesunden Wachstum B-Vitamine, Zink, Vitamin C, Vitamin D, Vitamin A, Vitamin E, Eisen, Magnesium, Selen als wichtigste Mikronährstoffe.

Im Labor zeigten sich gravierende Mängel in den B-Vitaminen, bei Vitamin D, Zink, Vitamin C, Selen und Magnesium.

Sämtliche notwendigen Vitamine, Spurenelemente und Mineralien wurden supplementiert, nach 6 Wochen war der Haarausfall gestoppt und kleine Härchen wuchsen zur Begeisterung der Patientin, der Friseuse und von mir fleissig nach. Der Besuch beim Dermatologen 3 Monate später erbrachte bei Analyse der Haarwurzel keine neuen Erkenntnisse, er befürwortete den Einsatz der Mikronährstoffe. Nach insgesamt 6 Monaten war auch äusserlich von einem Haarausfall nichts mehr zu sehen.Der Mikronährstoffstatus wird regelmässig kontrolliert und punktgenau korrigiert.

Also, die Pille ist für viele junge Frauen wichtig, da sie einfach und sicher ungewollte Schwangerschaften verhindert. Wichtig aber ist das Wissen darum, dass es auch hier Nebenwirkungen gibt, die sich in Mangelerscheinungen mit weit reichenden Folgen zeigen können. Sinnvoll ist es , ein Multipräparat einzunehmen, dass genau auf die Bedürfnisse von jungen Frauen, die die Pille einnehmen, zugeschnitten ist und das es in der Apotheke zu kaufen gibt. Und es schadet auch nicht, gelegentlich genauer nachzuschauen und die einzelnen Mikronährstoffe im Blut bestimmen zu lassen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Sicher ist eines, eine Pille am Tag reicht nicht, vor allem bei längerer Einnahme der Pille…..

© Dr. Nicole Lion-Mock