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Über Vitamin D ist eigentlich alles gesagt oder ein kleiner Nachsatz darf sein

 

Die Patientin vor mir ist 38a, als Informatikerin beruflich erfolgreich, sie hat 2 Kinder im Alter von 10 und 7 Jahren, ist glücklich in der ehelichen Beziehung und schafft eine gute Work-life-balance mit Yoga und Sport. Ihre Blutwerte sind excellent, die durchgeführten Check-Untersuchungen tadellos. Also alles perfekt.  Kurz vor dem Ende unserer Besprechung bittet sie um eine Vitamin D Spiegel-Bestimmung inklusive Calcidiol, Calcitriol, Calcium,  Magnesium, Bor, Vitamin K2, Phoshat  und Parathormon. Ups. Eine genaue Ansage. Wo die Wünsche herkommen, ist offensichtlich, heute ist jegliche Information verfügbar, nicht zuletzt sehen wir zunehmend seitenlange Auszüge von Chat GPT bezüglich Diagnostik und Therapie diverser bestehender oder auch nicht bestehender Erkrankungen. Das erleichtert uns im täglichen Praxisablauf die Arbeit nicht unbedingt, die dahinter liegenden Anliegen sind aber oft mit Angst gepaart und ernst zu nehmen.

 Über die obige Anfrage freut sich auf jeden Fall der Labormediziner, die gewünschten Parameter schlagen mit ca 350 Euro zu Buche-als Selbstzahlerleistung.

In den stündlichen Radionachrichten von SWR 3 wurde im Mai 2023 eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg zitiert, wonach eine tägliche Vitamin D Einnahme die Krebssterblichkeit der Deutschen um 12 Prozent reduzieren könnte.  Was für eine Zahl, wenn es sonst um Signifikanzen von 1 oder 2 Prozent geht!  Eine Studie von Cashman et al in The American Journal of Clinical Nutrition 2016 zeigt eine Vitamin -D-Mangelsituation in ganz Europa, auch in Deutschland. Nach Daten des Robert-Koch-Institutes sind 90% der Bundesbürger nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Die Cordoba-Studie hat gezeigt, dass eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung essentiell für das positive Outcome von hospitalisierten Corona-Patienten ist. Kurzum: An der Wichtigkeit einer guten Vitamin-D-Versorgung kommen wir nicht herum. So oft hören wir in der Praxis Sätze wie : Ich bin viel im Garten und/oder fahre viel Fahrrad, gehe mit den Enkeln täglich spazieren, segle, rudere, wandere, jogge,  etc - und nein, all das reicht nicht aus, um einen gesunden Vitamin D-Spiegel nachzuweisen. Den könnte man vielleicht bekommen, wenn man sich an 365 Tagen im Jahr in der Mittagszeit mit blossen Armen und Beinen 20 min in strahlendem Sonnenschein aufhalten würde, wovon schon allein aufgrund der Hautkrebsgefahr abgeraten werden muss und Deutschland keinen Platz an der Sonne hat, der dies möglich machen würde. Also, ohne Vitamin-D-Substitution kommen wir nicht aus und diese soll individuell nach Spiegelbestimmung erfolgen. Es zeigen sich grosse Bedarfsunterschiede je nach Alter, Geschlecht, Vorkrankungen, Genetik und Epigenetik, Stoffwechselaktivität, Darmgesundheit u.v.m. Bei Gesunden macht man mit einer täglichen Gabe von 1000 IE nichts falsch, in den angestrebten Bereich, der einem die gesundheitlichen Vorteile beschert, kommt man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hinein.

Die bekannteste Funktion von Vitamin D ist die Beteiligung am Knochenstoffwechsel, es fördert die Aufnahme von Calcium aus dem Darm und den Einbau in die Knochen und senkt das Risiko für Frakturen, für alle aber vor allem für Frauen nach Menopause ein Thema. Darüber hinaus schützt es vor Infekten, verringert das Risiko für Entzündungen und Autoimmunerkrankungen. Es hat die Rolle eines wichtigen Immunmodulators im Immunsystem, in Zeiten, in denen Allergien, Silent Inflammation und Autoimmunerkrankungen immens zunehmen, ein brandaktuelles Thema. Im Gehirn verringert es das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer und dem Parkinson-Syndrom. Im Herz-Kreislaufsystem senkt es das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Das Krebsrisiko für bestimmte Krebsarten wird gesenkt (z.B. Brustkrebs). In der Bauchspeicheldrüse wirkt es positiv auf die Insulinproduktion, glättet den Blutzucker und verringert das Risiko für Diabetes. Vitamin-D-Mangel ist ein eigenständiger Risikofaktor für das metabolische Syndrom mit Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und erhöhter Harnsäure. Und das ist noch lange nicht alles. Aber es geht hier in erster Linie nicht um die enorme Wirkleistung des Super-Vitamins sondern darum, zu verstehen, was eigentlich sinnvollerweise bestimmt werden soll, um punktgenau substituieren zu können.

Wie entsteht Vitamin D im Körper?

In der Haut wird unter Sonnenbestrahlung aus Cholesterin mithilfe der UV-B-Strahlen  das Prävitamin-D gebildet. Mit Hilfe von Wärme, der Körpertemperatur, wird es in Cholecalciferol umgewandelt. Diese Form wird von uns verschrieben und das  in Tabletten- oder Tropfenform eingenommen.  Zum einen nimmt dieser Vorgang aber in der älter werdenden Haut ab und zweitens blockieren Sonnenschutzmittel ab dem Schutzfaktor 10 diese Reaktion, da sie vor UVB-Licht abschirmen. Wir empfehlen gerne Lichtschutzfaktor 30, im Gesicht sogar 50! Das Cholecalciferol muss in Leber und Niere aktiviert werden, um seine Funktionen im Stoffwechsel erfüllen zu Können. Die Leber verwandelt es zu 25 (OH) D, dem Calcidiol, die Niere zu 1,25 (OH)2 D, dem Calcitriol, dem eigentlich wirksamen Vitamin um, das tatsächlich  auch zu den Steroidhormonen gezählt wird und nicht mehr nur zu den Vitaminen.

Was wird im Blut bestimmt und was warum routinemässig nicht?

Aktuell ist immer noch die Bestimmung von 25(OH) D, dem Calcidiol, die Methode, die am häufigsten zur Bestimmung des Vitamin D herangezogen wird. Warum wollte unsere Patientin auch das Calcitriol bestimmt haben? Weil die beiden in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen müssen, um gut miteinander zu kooperieren und den Calciumstoffwechsel in einem Gleichgewicht zu halten (Vitamin D-Ratio). Während Calcidiol die Aufnahme von Calcium aus der Nahrung über den Darm fördert, nimmt sich das Calcitriol bei Bedarf (zu wenig Calcium) dieses aus dem Knochen, was es zu verhindern gilt. Bevor Vitamin D von uns verordnet wird, bestimmen wir immer den Calciumspiegel um sicherzugehen, dass dieser stabil im Normbereich ist und der Patient mit einer Vitamin D Behandlung, die das Calcium erhöhen kann, nicht gefährdet wird. Das Parathormon, das in der Nebenschilddrüse gebildet wird, ist für die Homöostase des Calciums und für den Calciumphoshathaushalt zuständig. Ist aber der gemessene Calciumspiegel im Blut normal, wird von uns nicht zwangsläufig ohne Grund oder ohne medizinische Indikation der Phosphat- und/oder der Parathormonspiegel bestimmt, bevor wir zur Vitamin-D-Substitution raten. Ein weiterer Mitspieler im Vitamin D-Haushalt ist Bor, dessen Mangel zu einem rascheren Vitamin D-Abbau führt und die Calciumausscheidung über die Niere fördert. Ausserdem bringt ein Bor-Mangel die Vitamin D-Ratio  zu Ungunsten des Calcidiols durcheinander. Bor ist vor allem in pflanzlicher Nahrung enthalten, hier z.B. in  in Dörrpflaumen und Nüssen. Als weiterer Parameter beeinflusst  Magnesium den Vitamin D-Stoffwechsel entscheidend.  Ohne Magnesium bleibt Vitamin D inaktiv und kann vom Körper nicht genutzt werden. Der Magnesiumspiegel kann im Blut bestimmt werden, da wir dieses Mineral aber für über 300 Stoffwechselreaktionen im Körper brauchen und unsere Nahrungsmittel im Vergleich zu vor 50 Jahren nur noch ca 20% Magnesium enthalten (nährstoffarme und überdüngte Böden), substituieren wir es sehr häufig – bei normaler Nierenfunktion-auch ohne Spiegelbestimmung. Die gebrauchte Dosis ist individuell.  Wir titrieren in 150mg Schritten hoch, wird der Stuhlgang dünn, geht man um die letzten 150mg Magnesium zurück und hat die Dosis, die individuell gebraucht und vertragen wird. Als letzter von der Patientin gewünschter Parameter  bleibt das Vitamin K2 übrig, von dem  mittlerweile mehr als 10 verschiedene Formen bekannt sind und dessen Bedarf im Blut am besten über das uncaroxylierte Osteocalcin bestimmt werden kann. Während Vitamin K1 sehr gut über grünes Gemüse/grüne Salate zugeführt werden kann, steht  K2 v.a. aus bakteriell fermentierten Nahrungsmitteln und über tierische Produkte in nennenswertem Umfang für den menschlichen Organismus zur Verfügung. Bei einem Vitamin K2-Mangel kann Osteocalcin nicht mehr carboxyliert werden und der Einbau von Calcium in den Knochen wird gehemmt, dafür wird aber zunehmend Calcium z.B. in den Blutgefässen abgelagert, was zu einer Arteriosklerose führen kann.

Was raten wir nun der Patientin? 

Bei einer völlig gesunden jungen Patientin mit präventiver Intention bestimmen wir in der Regel nur das Calcidiol, also das 25-OH-D. Der Wert der obigen Patientin,  die 65 kg wiegt (der Bedarf wird gewichtsadaptiert bestimmt), lag bei 33ng/ml, bei einem gewünschten Zielwert von 50ng/ml (gesunde Patientin, bei verschiedenen Grunderkrankungen zielen wir auf deutlich höhere Werte) zeigte sich ein Aufholbedarf von 155000 IE, so dass wir für 3 Monate 5500 IE täglich empfahlen. Nach 3 Monaten zeigte sich eine Punktlandung von 52 ng/ml, so dass dann mit einer ebenfalls berechneten Erhaltungsdosis fortgefahren wird. In Kombination dazu empfehlen wir gerne eine sogenanntes „Multi“, ein hochwertiges Multivitaminpräparat, das unter anderem auch Calcium, Magnesium, Bor, Vitamin K2 enthält und hier zumindest eine Basisversorgung sicherstellt. Die hierin immer enthaltenen Vitamin D Konzentrationen müssen in den errechneten Bedarf miteinbezogen werden!

Bei älteren oder kranken Patienten bestimmen wir tatsächlich sämtliche oben gewünschten Werte, manchmal sogar noch weitere wie das freie Vitamin D oder das Vitamin D-Bindungsprotein und spezielle Parameter des Knochenstoffwechsels. Wird eine Osteoporose neu diagnostiziert und sind die oben erklärten Parameter bestimmt worden, können neben Vit D auch Calcium-, Bor-, Vitamin K2- und Magnesiumsupplementierungen notwendig sein. Hier befinden wir uns dann im therapeutischen und nicht mehr nur im präventiven Bereich. 

Wir sind in der Praxis aber schon sehr glücklich, wenn wir unsre Patienten von  der Sinnhaftigkeit einer Vitamin D-Bestimmung überzeugen können. Es zeigt sich übrigens, dass nach einer 3-4 maligen Bestimmung des Spiegels zu unterschiedlichen Jahreszeiten in einem Zeitraum von ca 2 Jahren die individuell notwendige „Ganzjahreseinnahmedosierung“gefunden werden und diese stabil rund ums Jahr eingenommen werden kann, ohne weitere häufige Spiegelbestimmungen durchführen lassen zu müssen. 

Es ist also keine Never-ending -Story mit der Vitamin D-Bestimmung, mit der Bedeutung dieser wichtigen Substanz für unseren Körper schon! 

© Dr. Nicole Lion-Mock